ularichter.de

Rede von Gerd Deumlich zur Ausstellungseröffnung „Das Leichte und das Schwere“ im Rathaus Brilon, 9.9. 2007

Ursula Richter hat, in dem sie dieser Auswahl ihrer Arbeiten das Motto „Das Leichte und das „Schwere“ gab – uns, den Betrachtern ihrer Kunst, einiges zum Nachdenken aufgegeben.

Wir könnten es uns natürlich einfach machen und uns an den saloppen Satz des alten Schiller halten: “Schwer ist die Kunst, vergänglich ihr Preis.“

Doch so leicht kommt man nicht davon, wer sich in den hier versammelten Zeugnissen der Malerei und Grafik zurecht finden will. Man würde sich auch um den über bloßes Betrachten hinausgehenden Genuss bringen, selbst zu entdecken, welche Impulse für mehr Humanität uns die Künstlerin vorstellen will und uns dabei die Möglichkeit einräumt, in der Kunst das Leben zu genießen, wie Brecht sagte, und: „Genuss bietet die Kunstfertigkeit der Abbildungen“ – was wohl ein trefflicher Satz für diese Ausstellung ist.

In ihren Abbildungen trifft die Künstlerin eine Aussage, auf die sie durch ihre Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit und der natürlichen Umwelt gekommen ist. Zu Recht liefert sie uns jedoch zu deren künstlerischer Verarbeitung, zu ihren Bildern also, keine Erklärungen, wie wir sie verstehen sollten. Die gängige Frage: "Was will der Künstler uns damit sagen?" beantwortet sie zuerst mit ihren bildnerischen Darstellungen und will uns dazu anregen, selbst deren Sinn zu ergründen. Und da wird sich zeigen, wie vielfältig die Deutungsmöglichkeiten sind. Aber erst diese Auseinandersetzung mit den Bildern, die eigene geistige Anstrengung, macht ja die Begegnung mit bildender Kunst zum Erlebnis.

ZU unserem Glück eignet den Arbeiten von Ursula Richter ein so klare Bildsprache an, dass wir nicht dem Urteil eines Experten – Rudolf Arnheim – erliegen müssen, wonach die Kunst zwar „immer als ein Mittel verstanden und benutzt worden ist, mit dem sich das Wesen der Welt und des Lebens für menschliche Augen und Ohren deuten lässt“ – aber diese Kunst heute „unverständlich geworden“ sei. Ursula Richter gehört zu den bildenden Künstlerinnen die diese Pauschalurteil widerlegen.

Also: Das Leichte und das Schwere – ist es auszumachen in dem von ihr so benannten dialektischen Spannungsfeld, worin ihre Arbeiten stehen?

Das sind diese Wolken vor dem wunderbar blauen Himmel, die sie in letzter Zeit als Sujet geradezu liebgewonnen hat. Wie viel Leichtigkeit ist da, ein Federchen! Wolken locken beim Blick aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers im Sauerland, da hängt auch noch ihr Arbeitskittel.

Doch all die faszinierenden Wolkengebilde sollen uns nicht in ein Wolkenkuckuksheim entführen. Unsere Blicke werden auch auf das irdische Schwere gelenkt: ein alter Schornstein, knorrige Zaunpfähle, schieben sich in das sphärische Idyll, ein Stacheldraht schneidet den Weg unter dem freien Himmel ab. Und das erschütternde authentische Schwere: die drei Pfähle, an denen im KZ Sachsenhausen Menschen gemartert wurden, die voller Qual und Verzweiflung den frei ziehenden Wolken nachgeschaut haben mussten.

Die dunkle Wolke, unter ihr die verdorrten Sonnenblumen, erweckt sie nicht die Assoziation zu einer bedrohlichen Aktualität – dem Klimawandel, der bis in die jüngsten Tage mit dunklen Wolkenfeldern sich anmeldet. Dadurch, dass wir unsere Natur nicht nur von ihrer schönen, sondern von ihrer beunruhigenden Seite erleben, bekommt dieses Bild – vor vier Jahren gemalt – nun erst seine eindringliche Bedeutung. Mir scheint dies eine Erfahrung, die die dialektische Wechselwirkung zwischen der Realität, in diesem Fall der Natur und der Kunst sinnfällig macht, zeigt, wie die Kunst  auf unsere Erkenntnis- und Erlebnisfähigkeit wirken kann. Vielleicht trifft auf eine solche Erfahrung ein Gedanke von Hans von Marees, eines Malers aus dem 1. Jahrhundert, zu: „Seine Freunde zu befriedigen, ist noch lange keine Kunst. Sie fängt erst an, wo man die Gleichgültigen aus ihrer Ruhe aufschreckt.“

Und kann Ursula Richter etwas anderes wollen mit diese Tryptichon: Ihre Enkelin Zoe, umsorgt von Liebe, versorgt mit Spielzeug und Nahrung, dieses glückliche Kind zwischen den Kinderleichen aus dem Irakkrieg, wofür in der zynischen Sprache des Krieges der unsägliche Begriff „Kollateralschaden“ gefunden wurde.

In meinem Verständnis sind diese Bilder ganz starke Zeugnisse für das humanistische Anliegen der Künstlerin, weil sie über den Krieg aus der Sicht der kleinen Leute, im wahrsten Wortsinn urteilt, verurteilt.

Nicht minder spricht uns ihr Humanismus aus dem Porträt zweier Sinti-Frauen an, Menschen, deren Schicksal für viele andere – Andere – für diesen verruchten, scheinbar unausrottbaren Rassismus steht. Sie haben überlebt, die Ältere mit der Häftlingsnummer von Auschwitz in den Arm gebrannt. Nicht eine Bitte um Mitleid ist die Botschaft des Bildes, sondern die Forderung nach Achtung ihrer Menschenwürde.

Wir wissen doch, wie schlimm es in der Welt bestellt ist, dass Menschen verschiedener Herkunft und Kultur gegeneinander getrieben werden. Und eine von den  älteren Zeichnungen von Ursula Richter – Hexenverfolgung – erinnert daran, wie alt das Schinden von Menschen ist. Da kann man sich nur mit Pablo Picasso wünschen, dass die Kunst gegen Unmenschlichkeit als „eine Art Aufruhr“ wirksam sein möge.

Sie könnten mir nun zu Recht vorhalten, ich hätte – um im Motto der Autorin zu bleiben – fast nur von dem Schweren gesprochen. Ist das so wenig Leichtes? Mit dieser Vermutung täte man der Künstlerin Unrecht. Blumen, Früchte – all dies ist ihr genau so wichtig im Plädoyer für eine freundliche Welt.

Ich bin mir allerdings ziemlich sicher, dass das nicht so einfach auf die verschiedenen Arbeiten zu verteilen ist: das Schwere und das Leichte.

Wie ist das bei dem Stier, der uns aus seinem bulligen Schädel, mit dem er uns glatt umrennen könnte, so freundlich aus lang bewimperten Augen anschaut? Oder bei den Olivenbäumen, wo aus den abgestorben scheinenden, uralten Stämmen Früchte tragende frische Zweige sprießen?

Ich möchte -  abschließend – bei dem wunderschönen Bild „Brot und Rose“ anhalten. Brot und Rosen – das sind in einem Lied der Frauenbewegung die Synonyme für die Forderung nach dem ganzen Leben. Wunderbar, wie Ursula Richters Bild versinnbildlicht,  dass auch die Kunst zum ganzen Leben gehört.

Wir haben ihr zu danken, dass sie uns mit ihren Bildern das Vergnügen des Schauens und des Denkens bereitet.